Ich gebe es gleich zu: Im Kastanienwäldchen war ich noch nie. Aber ich wollte immer schon mal hin und schauen, was dieser Norbert Raeder da macht. Ein Mann, von dem alle schreiben und erzählen, er bewege Großes. Er sei einer der macht, nicht nur quatscht, und der das Herz aber so was von am rechten Fleck hat. Norbert Raeder hat mit dem Kastanienwäldchen einen dieser Orte geschaffen, wo Mitmenschlichkeit ganz selbstverständlich gelebt wird.
Nun muss Raeder nach mehr als 25 Jahren seinen Laden dichtmachen. Am 31. Dezember muss das Kastanienwäldchen geräumt übergeben werden. In einem bewegenden Video erzählt Raeder die ganze Geschichte.
Sichtlich mitgenommen und angefasst berichtet er, wie er im Sommer auf einer kleinen Reise einen förmlichen Brief erhielt. Die Hausverwaltung setzte ihn über die Kündigung des Mietverhältnisses in Kenntnis. Besonders bitter: Einer der Eigentümer des Gebäudes, in dem sich das Kastanienwäldchen befindet, ist Norbert Raeders bester Freund. Seitdem kann Norbert Raeder nicht mehr schlafen, er sucht nach Ausweichorten für all die Aktionen, Feste, Hilfen für die Menschen, die Teil des Kastanienwäldchens sind.
Die Kündigung zieht Norbert Raeder den Boden weg
Dass ihm unpersönlich per Brief gekündigt wird, zieht ihm den Boden unter den Füßen weg, gibt Raeder unumwunden zu. Da hatten er und sein Team sich durch die Corona-Krise gekämpft, hatten es mithilfe der Gäste geschafft, den einzigartigen Betrieb weiterleben zu lassen – und nun das.
Norbert Raeder hatte in seinem Laden ein offenes Ohr für die, denen es schlecht und schlechter geht. Obdachlose, Kinder, Kleingärtner, die Alten in der Gegend, die Armen – sie alle verlieren nun ihre Anlaufstelle. Denn Norbert Raeder war immer da, hatte in offenes Ohr für jedwede Sorge.

„Ich bin durch den Wind“, sagt Norbert Raeder in dem Video tapfer. So tapfer wie man vor der Kamera sein kann, wenn man sein Lebenswerk beerdigen muss. In Gesprächen mit der Verwaltung sei ihm angeboten worden, eine höhere Miete zu zahlen: Dreimal so viel wie aktuell sollte er jeden Monat überweisen. „Das sind 7000 bis 8000 Euro mehr Umsatz, die ich im Monat erwirtschaften müsste, 10.000 Bier mehr verkaufen.“ Utopisch.
Immer zählt nur das Geld
Am schmerzhaftesten sei es, zu erfahren, dass die Arbeit mit Menschen, die in den letzten Jahrzehnten hier stattfand, nichts wert sei, sagt Raeder. Dann kämen eben eine Packstation in den Laden und E-Ladesäulen auf den Parkplatz, habe man ihm gesagt.
Wo Menschlichkeit dem Profit untergeordnet wird, erodiert Moral. Das muss man sich erst mal leisten wollen. „Es tut weh, wenn es denen egal ist, dass ein Ort verschwindet, an dem Menschen geholfen wird, wo Geborgenheit herrscht“, sagt Raeder. „Permanent geht es nur noch ums Geld.“
Er werde jetzt seine Sachen packen, alles abbauen und zum 31.12.2023 schließen, verkündet Norbert Raeder. Und dann wolle man schauen, ob und wie es woanders weitergeht. „Vergesst nicht die, denen es noch beschissener geht“, sagt er zum Ende des Videos. Für die Menschen im Kiez will er weiter da sein.